An der Ostküste der Nordinsel liegt also dieses Städtchen, welches wir in unser Herz geschlossen haben: Gisborne. Knapp drei Monate haben wir hier gelebt und durften so viele tolle Einblicke in das neuseeländische Leben erhalten. Wenn uns jemand nach unserem einjährigen Familiensabbatical gefragt hat: „Und was hat Euch am besten gefallen?“, dann steht Neuseeland ganz oben auf der Liste der Antworten. Die Erlebnisse in Gisborne haben eindeutig ihren Teil dazu beigetragen. Wenn dieses Land nicht am Ende der Welt liegen würde und es nicht so schwierig wäre, ein Arbeitsvisum zu bekommen, dann hätten wir mit dem Gedanken gespielt, unsere Zelte in Deutschland abzubrechen….ich glaube, das sagt so einiges aus.
Gisborne
Die Einheimischen sagen, dass man in der Region rund um Gisborne noch das „echte“ Leben Neuseelands kennen lernen kann. Auch weil es total abseits der Touristenrouten liegt. Die Gegend ist ziemlich abgeschnitten vom restlichen Teil der Nordinsel und sehr landwirtschaftlich geprägt. Es gibt keine absoluten Highlights, die angepriesen werden und genau dieser Charme hat uns besonders gut gefallen. Wir hatten aber auch Glück, dass wir unglaublich liebe Menschen kennenlernen durften, die uns Teil ihrer Community werden ließen. Das war vor allem möglich, da unsere drei Kinder in Gisborne zur Schule gegangen sind und wir an der Schulgemeinschaft teilnehmen durften und sofort herzlich aufgenommen wurden.
Besuch neuseeländischer Schulen
Besonders beeindruckt hat uns das neuseeländische Schulsystem. Wir haben den Eindruck gewonnen, dass den Kindern auf Augenhöhe begegnet wird. Hier wird Gemeinschaft gelebt, respektvoll und wertschätzend miteinander umgegangen und die Schüler*innen werden in ihrem Selbstvertrauen gestärkt. Es wird fächerübergreifend projektorientiert gelernt, Erfolgserlebnisse und Leistungen werden gelobt und positiv bestärkt (und damit meine ich nicht nur fachliche, sondern auch soziale Kompetenzen). Es wird viel gelacht, Sport gemacht und auch Zeit in der Natur verbracht. Die Fächerauswahl ist riesig. Sie reicht von Outdoor Education über Design Technology bis hin zu Kochkursen. Dadurch werden schon vielfältige Möglichkeiten geboten, sich auszuprobieren und verschiedene Inhalte und Themen kennenzulernen. Die Wertschätzung, die den Schüler*innen entgegengebracht wird, hat uns fasziniert. Beispiel: Unser Sohn hat in einem Fach eine Bluetooth Box gebaut und es wurde klar, dass er es in den normalen Unterrichtszeiten nicht schaffen würde, diese fertig zu stellen. Der Lehrer ist dann an drei Nachmittagen länger mit ihm in der schulinternen Holzwerkstatt geblieben, damit er sein Produkt vollenden kann. Wow!
Im Übrigen waren alle drei Kinder auf staatlichen Schulen. Ich erwähne diesen Fakt, da sonst schnell die Annahme aufkommen kann, dass eine solche Ausstattung nur an privaten Schulen existiert. Jede Schule verfügte zum Beispiel über top ausgestattete Fachräume und einen eigenen Outdoor Pool. Jedes Kind lernt hier Schwimmen! Und Aufgrund des Alters unserer Kinder, konnten wir drei unterschiedliche Systeme kennenlernen: Elementary (Grundschule), Intermediate (gibt es in Deutschland nicht – ist so eine Art Zwischenschule – Altersgruppe 7. und 8. Klasse) und High School (vergleichbar wie die deutsche Gesamtschule ab der 9. Klasse). In Neuseeland tragen die Kinder alle Schuluniform. Unseren Kindern hat dieser Umstand super gut gefallen. Du musst Dir keine Gedanken darüber machen, was Du morgen anziehst, jeder trägt das Gleiche. Keiner wird gemobbt, weil er oder sie nicht nach der neuesten Mode gekleidet ist. Ein weiterer positiver Aspekt der aufgefallen ist, ist die Tatsache, dass alle Toilettenanlagen sauber waren. Ich denke, jeder, der das hier liest, weiß sofort wovon ich spreche…deutsche Schultoiletten sind in der Regel einfach gruselig: beschmiert, ungepflegt, keine Seife, kein Toilettenpapier vorhanden etc. An den neuseeländischen Schulen war das Gegenteil der Fall. Die Schüler*innen haben ihre Schule und dementsprechend auch das Gebäude mit Respekt behandelt.
Schul Summer Camps
In jedem Jahr gibt es klassenübergreifende Summercamps. Und wie sollte es anders sein, diese sind besonders Outdoor-geprägt: Camping, Wandern, Schwimmen im Meer, Flossbau uvm. stehen auf dem Programm. Die Eltern (sofern es arbeitstechnisch möglich ist) unterstützen diese Fahrten und begleiten die Vorbereitung und das Programm während des Camps.
Vielfalt wird gelebt!
Während unserer Zeit in Gisborne passierte das schreckliche Attentat in Christchurch auf der Südinsel Neuseelands. Ein Rechtsextremer hat über 50 Menschen getötet bei Anschlägen auf zwei muslimische Moscheen. Der Umgang mit dieser Gräueltat in den Schulen aber auch im ganzen Land hat uns tief bewegt und nachhaltig beeindruckt. Nicht nur die Ministerpräsidentin Jacinda Ardern hat durch das Tragen eines Kopftuches bei einem Treffen mit muslimischen Hinterbliebenen demonstrativ ihr Mitgefühl ausgedrückt sondern auch die Bevölkerung und eben auch die Schulen bewiesen eine aufrichtige Teilnahme am Geschehen und bewirkten mit besonderen Aktionen das Gefühl „Ihr seid nicht allein, ihr seid Teil der neuseeländischen Gemeinschaft“. Da war es wieder, das Gemeinschaftsgefühl.
Work Life Balance
Ein anderer Aspekt des neuseeländischen Lebens, das uns sehr gut gefallen hat, war die Ausgewogenheit der Work-Life-Balance und das Miteinander über den Sozialen Status hinweg. Es geht eben nicht darum immer mehr Geld zu scheffeln und materielle Dinge anzuhäufen. In Neuseeland wird die „Second-Hand-Kultur“ hoch gehalten. Lieber weniger arbeiten gehen und dafür mehr Freizeit und Zeit für die Familie und Freunde haben. Es scheint nicht so wichtig zu sein, welchen beruflichen Status man besitzt. Eine der ersten drei Fragen im Gespräch lautet nicht „Und was machst Du so beruflich?“. Überhaupt haben alle Leute, die wir kennen gelernt haben einen bewegten beruflichen Lebenslauf gehabt. Keiner ist bisher in dem einen Job geblieben. Jeder hat schon mal gewechselt oder hat einen anderen Weg eingeschlagen.
Wohnen in Gisborne
Wir wurden nach unserer Rückkehr nach Deutschland oft gefragt, wie wir in Gisborne gewohnt haben? Wir hatten das große Glück über Airbnb ein möbliertes Haus mit einem großen wunderschönen Garten zu mieten. Die Eigentümerin hatte in der Saison davor viel Gemüse und Obst angebaut und wir durften uns täglich daran bedienen und erfreuen. Das Haus war typischerweise aus Holz gebaut und im Sommer in der Bauweise auch vollkommen ausreichend. Tatsächlich haben wir uns aber des Öfteren gefragt, wie das Wohnen hier wohl im Winter ist. Die Häuser in Neuseeland sind extrem einfach gebaut, Einfachverglasung und mit fingerdicken Schlitzen zwischen den Türrahmen und den Außenwänden. Man muss sich also darauf einstellen im Winter dicke Wollpullis zu tragen, denn wirklich gut beheizt bekommt man die Wohnräume nicht.
Freizeitspaß
Das großartigste überhaupt an unserer Wohnlage war, dass wir in 5 Minuten am Strand waren. Ein breiter Sandstrand wo man 2 Stunden braucht um von einem zum anderen Ende zu laufen. Ein Traum. Beliebt ist die Küste in Gisborne vor allem zum Surfen. Surfen war so ziemlich die liebste Freizeitbeschäftigung der Kiwis…naja, neben anderer Outdoor-Aktivitäten wie Fischen, Camping und Rugby. Rugby ist Nationalsport Nr. 1 und die Nationalmannschaft „All Blacks“ begeistern vor jedem Länderspiel mit dem „Haka“, dem zeremoniellen Maori-Tanz. Wer den schon mal live miterlebt hat, bekommt eine Gänsehaut. Der Tanz strotz nur so vor Leidenschaft, Energie und Stolz. In Christchurch haben wurde der Haka auch von einigen Gruppen aufgeführt, um zu demonstrieren, dass auch die muslimische Gemeinde Teil von Neuseeland ist. Hier könnt Ihr übrigens ein eindrucksvolles Video eines Hakas der Rugby Nationalmannschaft anschauen. Nicht nur durch unseren Sohn, der selbst aktiv Rugby spielt, sind wir seit unserem Aufenthalt in Gisborne echte Rugby Fans geworden :-).
Wer Lust hat sich ein wenig mehr mit dem neuseeländischen Schulsystem zu beschäftigen und einen weiteren positiven Erfahrungsbericht zu lesen, dem sei das Buch „Der tanzende Direktor: Lernen in der besten Schule der Welt“ von Verena Friederike Hasel empfohlen. (Keine Affiliate-Verlinkung!)
Da ich in diesem Beitrag eher einige unserer Eindrücke vom Leben Vorort schildern wollte, findest Du Infos und Erlebnisse zu lohnenden Tagesausflügen in der Nähe von Gisborne hier.
Möchtest Du wissen, was wir sonst noch in Neuseeland erlebt haben? Dann schau Dich mal hier um:
2 Comments
Liebe Claudia,
Was für ein toller Bericht! Da möchte ich am Liebsten gleich ins Flugzeug steigen. Du hast uns mit deiner Beschreibung vom Leben in Gisborne derart mitgerissen, dass unsere Familienauszeit nun auch in Gisborne geplant wird 🙂
Vielen lieben Dank auch nochmal für deine zahlreichen Tipps zum Leben vor Ort.
Schöne Grüße aus Norddeutschland,
Maike
Liebe Maike,
das freut mich total. Und wie schön, dass Ihr Eure Auszeit jetzt auch in Gisborne plant. Wenn Du weitere Fragen hast, melde Dich immer gerne. Viele Grüße, Claudia